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Dennis Schröder und Daniel Theis: Wie zwei Freunde von Braunschweig aus die Basketball-Welt erobern

Die nächste Generation: Dennis Schröder und Daniel Theis sind etablierte NBA-Profis, waren vor einigen Jahren aber noch die beiden größten Talente ihres Alters in Deutschland.

2015

Die nächste Generation: Dennis Schröder und Daniel Theis sind etablierte NBA-Profis, waren vor einigen Jahren aber noch die beiden größten Talente ihres Alters in Deutschland. Die Geschichte von zwei Freunden, die trotz einiger Steine im Weg von Braunschweig aus die Basketball-Welt erobern.

Als Daniel Theis am 21. Juni 2015 mit den Brose Baskets im fünften Finale seine erste Meisterschaft feiert, sitzt sein Freund Dennis Schröder in der ersten Reihe und jubelt. Der NBA-Profi sei quasi der Glücksbringer für Theis und Bamberg, schreiben die Medien – drei Mal schaut er zu, drei Mal gewinnt Bamberg gegen Bayern München. Als Dank darf Schröder als einer der Ersten den Meisterpokal anfassen.

Dieser Triumph des einen unter dem Jubel des anderen wirft den Blick zurück nach Braunschweig, wo die beiden einst ihre Karriere beginnen und zu Freunden werden. „Es war ein langer Prozess mit den beiden, der nur möglich war, weil sie in ein funktionierendes Nachwuchskonzept kamen“, sagt ihr früherer Trainer und Mentor Liviu Calin. „Dennis und Daniel fanden zu einer Symbiose, die es heute noch gibt.“ Als Beispiel führt Calin die gemeinsamen Auftritte im Nationalteam in der EM-Qualifikation von 2014 an. „Sie haben in einer Art und Weise zusammen gespielt, die kaum zu glauben war“, sagt er. „Sie haben eine Art telepathische Spielkultur entwickelt.“ Gemeint sind scheinbar katastrophale Pässe Schröders ins Nirwana, die dann doch vom heranfliegenden Theis per Alley-Oop in den gegnerischen Korb gehämmert wurden. „Dennis weiß immer, wo Daniel ist und wann er sich wohin bewegt.“

Im Rückblick lässt sich diese Geschichte vom wundersamen Aufstieg zweier Freunde leicht erzählen, doch damals, zwischen 2008 und 2013, verschleißt die Entwicklung der beiden größten deutschen Talente ihrer Generation einige Nerven der Verantwortlichen in Braunschweig.

Schröder, im Alter von neun Jahren von Calin auf dem Freiplatz entdeckt, ist später in der Pubertät ein – wie viele sagen – unausstehlicher Egomane. Kein Trainer möchte mehr mit ihm arbeiten, er fliegt aus den Auswahl-Kadern, schmeißt die Schule, wo er zusätzliches Basketball-Einzeltraining bekommen hat, spielt eineinhalb Jahre in Wolfenbüttel. „Er hatte eine richtige Rebellenzeit“, sagt Calin. „Aber dann baten mich andere Spieler und auch er selbst, ihm noch eine Chance zu geben.“

Als Schröder 16 Jahre alt ist, stirbt sein Vater Axel. Zuvor verspricht der Sohn ihm, für die Mutter und die Geschwister zu sorgen. Von da an nimmt er den Basketball ernst, wie Schröder selbst sagt, ab diesem Einschnitt in seinem Leben sieht er die Perspektive einer einträglichen Karriere als Profibasketballer und beginnt, hart dafür zu arbeiten. „Er brauchte eine Vertrauensperson mit viel Toleranz“, sagt Calin. So manövriert er seinen Schützling trotz Eskapaden Richtung Profitum. Schröder darf sich zusammen mit Theis mit viel Spielzeit in der ProB austoben, wo sie sich mit Männern messen können, wo Fehler – anders als beim Profiteam in der Beko BBL - erlaubt sind.

Theis spielt bis zum Alter von 15 Jahren in seiner Geburtsstadt Salzgitter Fußball. Als sich seine Eltern trennen, ist er 16 Jahre und landet über seinen Heimatverein Gebhardshagen in Braunschweigs NBBL-Team. Dank seiner Spielintelligenz habe er enorm schnell gelernt, so Calin, und dank seiner herausragenden Athletik und seines Koordinationsvermögens schnell große Fortschritte gemacht. Eine Ausbildung mit Freistellung für den Basketball hilft, zudem holen die Braunschweiger 2010 Theis‘ älteren Bruder Frank aus Wolfenbüttel ins ProB-Team, der Daniel ebenfalls unterstützt. „Zusammen mit Dennis bildeten die drei eine kleine Zelle, welche die Arbeit mit ihnen noch leichter machte“, sagt Calin.

Theis und der eineinhalb Jahre jüngere Schröder mischen die NBBL auf, führen das Team 2011 ins Halbfinale. Schon damals ist offensichtlich: Der eine ist überdurchschnittlich schnell nach vorne unterwegs, der andere überdurchschnittlich schnell nach oben. Der 17 Jahre alte Point Guard steuert 10,7 Punkte und 5,5 Assists im Schnitt bei, der athletische Big Man 23 Zähler, 12,3 Rebounds und 3,2 Blocks. Auch in der ProB sind sie zu diesem Zeitpunkt, auf jeden Fall aber in der Saison 2011/12 nicht zu stoppen und lassen es auch im Jugendnationalteam mit einem fünften Platz bei der U20-EM in Slowenien 2012 krachen.

Verständlich, dass ihnen der Sprung in die Beko BBL zu langsam geht. Dort aber heißt das sportliche Ziel nicht Talentförderung, sondern Playoffs und Erfolg. Headcoach Sebastian Machowski führt Braunschweig 2010 in seinem ersten Jahr erstmals nach sieben Jahren in die Playoffs, dort bis ins Halbfinale, im Jahr darauf wird das Pokalfinale erreicht. Dem Nachwuchs Minuten zu geben, um sich auszuprobieren, steht auf der Agenda weiter hinten.

Der damalige Mannschaftskapitän Nils Mittmann erinnert sich an das ständige Ringen mit den beiden Talenten: „Die Mannschaft bestand größtenteils aus Veteranen, da hatten es die beiden schwer, Akzeptanz zu finden“, sagt er. „Ihr sportliches Talent hat jeder gesehen, aber Daniel und Dennis wollten viel mehr.“ Machowski aber habe die Playoffs erreichen müssen, dementsprechend unter Druck gestanden, so Mittmann, und weil das Team erfolgreich gespielt habe, auch keinen Grund zu großen Veränderungen gehabt. Mittmann, der sich zehn Jahre zuvor selbst als Eigengewächs bei seinem Heimatklub nicht genügend gefördert und wertgeschätzt gefühlt hatte, kann rückblickend beide Seiten verstehen.

Trotzdem spielt Theis als 19-Jähriger in der Saison 2011/12 als fünfter Spieler des Frontcourts immerhin in 22 Spielen acht Minuten im Schnitt und Schröder als 18-Jähriger sogar durchschnittlich acht Minuten in 30 Spielen. Aber das ist dem Duo nicht genug, es begehrt weiter auf. „Sie waren in der ProB wirklich ein kongeniales Duo“, sagt Machowski, „und hatten auch bei uns den Anspruch, schon Leistungsträger zu sein, aber das passte damals noch nicht mit der Realität zusammen.“ Trotzdem habe er immer großen Respekt davor gehabt, wie Schröder um seinen Platz in der Mannschaft gekämpft und bei seinen Einsätzen schon Akzente gesetzt habe. Als ein Jahr später die ersten NBA-Scouts anrufen, habe er ihn aus Überzeugung empfohlen.

Schröder sei mit seinem eigenwilligen Charakter in einer Gruppe schwer zu managen gewesen, sagt Mittmann. „Andererseits haben genau dieses Anspruchsdenken und seine Mentalität Dennis dorthin gebracht, wo er heute ist.“ Besonders Theis habe auch damals schon einige starke Leistungen gezeigt, aber die Wertschätzung für deutsche Spieler sei in der Beko BBL vor der Einführung der 6-6-Quote nicht so groß gewesen. „Dass junge Spieler, noch dazu aus dem eigenen Verein, richtig gut sein können, vielleicht sogar besser als importierte Spieler, diese Sicht hat erst in den letzten paar Jahren Einzug gehalten.“

So möchte Theis nach der Saison 2011/12 weg aus Braunschweig, strebt nach einer größeren Rolle und forciert den Wechsel nach Ulm. Zudem wird er trotz Verletzung von Bundestrainer Svetislav Pesic ins Nationalteam gerufen. In Ulm darf er im ersten Jahr in 42 Spielen 17 Minuten im Schnitt ran, startet 19 Mal, punktet neun Mal zweistellig, und in den Playoffs und dem Pokal geht es bis ins Halbfinale. 2014 hat er seinen bis dato größten Auftritt im Pokalhalbfinale: In Ulm erackert er sich gegen die Bayern 13 Punkte und sieben Rebounds, trifft seine drei Dreier und reißt Mannschaft und Fans mit zum 90:72-Sieg. Im Anschluss an die Saison 2013/14 wird er zum besten deutschen Nachwuchsspieler gekürt und verkündet den Wechsel nach Bamberg – ein Aufstieg von Null auf Hundert in nur zwei Jahren.

Noch steiler geht nicht? Doch! Zurück zu Schröder: Der bleibt 2012 mit einem verbesserten Vertrag in Braunschweig und erklärt die Zeit der Allüren für beendet mit den Worten „Ich bin Profi geworden“. Das Resultat: Ein 19-Jähriger, der die Beko BBL aufmischt. Zugute kommt Schröder dabei, dass der neue Trainer Kostas Flevarakis unter Sparzwang einen schwächeren US-Einser verpflichten muss. Mit Selbstvertrauen reißt Schröder die Rolle an sich, die er haben möchte, und erklärt dem Griechen nach wenigen Spielen, dass er in die Startformation gehöre. Der Coach spielt mit, da der Jüngling seine Ansprüche mit Leistung untermauert. Schröder produziert im Schnitt 2,5 Ballverluste, aber eben auch 12,0 Punkte und 3,2 Assists. Dem Meister schenkt er in Bamberg 20 Punkte ein, aber verliert mit Braunschweig, beim 78:73-Sieg in München zeigt er den Bayern mit 13 Punkten, acht Rebounds und sechs Assists den ganzen Werkzeugkasten. Er wird ins Allstar-Team gewählt und 2013 als Most Improved Player und bester deutscher Nachwuchsspieler ausgezeichnet.

Zudem stellt ihn Braunschweig trotz akuter Abstiegsgefahr für das vorletzte Saisonspiel frei, damit er sich in den USA beim Hoop Summit mit den besten Nachwuchsspielern der Welt messen kann. Dort glänzt er mit 18 Punkten und sechs Vorlagen in 29 Minuten und führt die Weltauswahl zum Sieg über das Team USA. Wenige Wochen später wird er von den Atlanta Hawks an 17. Stelle gedraftet. Nach einem schwierigen ersten Jahr in der NBA spielt er sich in der zweiten Saison als Backup-Einser in die feste Rotation, liefert im Schnitt 10,0 Punkte, 4,1 Assists und 2,1 Rebounds und bekommt immer öfter auch in der Crunchtime das Vertrauen von Headcoach Mike Budenholzer. Im Frühjahr 2015 marschiert er mit den Hawks überraschend bis ins Conference Finale. Sein endgültiger Durchbruch. Nach dem Ausscheiden gegen LeBron James und die Cleveland Cavaliers kommt Schröder zurück nach Deutschland. Als etablierter NBA-Profi fährt er ein paar Tage später nach Bamberg und sieht dort, wie sein Freund Daniel seine erste Meisterschaft einsackt.