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Der Erste seiner Art: Norbert Thimm war als Center nicht groß und schwer, sondern athletisch und beweglich

Nobert Thimm war der erste Center in der Bundesliga, der eher athletisch und beweglich als nur groß und schwer war. Und er war der erste deutsche Basketballer, der als Profi im Ausland spielte.

1976

Nobert Thimm war der erste Center in der Bundesliga, der eher athletisch und beweglich als nur groß und schwer war. Und er war der erste deutsche Basketballer, der als Profi im Ausland spielte.

Es gab eine Zeit, in der vieles so leicht war, dass sogar die Gesetze der Schwerkraft aufgehoben schienen. Norbert Thimm erinnert sich sehr gut an diese unbeschwerten Tage zu Beginn seiner Karriere, an denen er selbst das eine oder andere Mal glaubte, dass nur der Himmel die Grenze sei. Im Büro seines Hauses hängen über dem Schreibtisch die wichtigsten Andenken an diese Phase: ein Leverkusener Mannschaftsfoto und eines von Real Madrid. Dazu eine bronzene Plakette mit dem Emblem des stolzen Klubs aus der spanischen Hauptstadt, auf der in angemessenem Pathos seine Leistungen gewürdigt werden.

Seine Verdienste um den deutschen Basketball und dessen Reputation im Ausland sind ja gewaltig. Fünf Mal Deutscher Meister (1970, 1971, 1972, 1976, 1979) und vier Mal Pokalsieger (1970, 1971, 1974, 1976) mit Leverkusen, 150 Länderspiele inklusive der Teilnahme an den Olympischen Spielen 1972 in München. Und, natürlich: der erste deutsche Profi, der ins Ausland wechselte und dann gleich einen Vertrag bei Real Madrid unterschrieb. Der 66-jährige Thimm blickt auf die Bilder seiner Vergangenheit und sagt: „Ich habe mich manchmal gefühlt, als könnte ich fliegen.“

Natürlich bildeten sich das schon viele ein, die später hart landeten, aber der gebürtige Dortmunder hatte tatsächlich die idealen Voraussetzungen für den mühelosen Aufstieg in höhere Sphären: Auf seinem 2,07 Meter großen Körper verteilten sich damals – Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre – gerade einmal 82 Kilogramm. Vielleicht hätte dieses physiognomische Privileg allein gereicht, um einen guten Basketballer aus ihm werden zu lassen. Doch Thimm entwickelte sich zu einem überragenden, weil er mehr zu bieten hatte als pure Länge: Er war überdurchschnittlich beweglich, sein Spielverständnis außergewöhnlich und seine Sprungkraft spektakulär.

Das Federgewicht veränderte nicht nur das Profil seiner Position, er revolutionierte es geradezu. Center galten bis dahin als schwerfällig. „Norbert hatte für einen langen Mann ein erstaunlich komplettes Repertoire“, sagt sein ehemaliger Teamkollege Dieter Kuprella. „Er hatte in der Defensive ein unglaubliches Timing und konnte sehr gut blocken. Über ihn drüber zu werfen war extrem schwer. Zudem hatte er einen sicheren Wurf aus der Halbdistanz.“

Der formidable Aufbauspieler Kuprella fand in Thimm sowohl in Leverkusen als auch in der Nationalmannschaft einen idealen Adressaten für seine Anspiele. „Man konnte mit ihm Blocken und Abrollen in mehreren Variationen spielen“, sagt Kuprella, „die Gegenspieler ließen sich sehr gut an ihm abstreifen und er wusste immer, wo die Pässe hinkommen würden.“

Es folgte einer unbezwingbaren Logik, dass der hochgelobte Thimm eine große Ära der Bundesliga-Geschichte entscheidend mitprägte und seine individuellen Fähigkeiten mit der Mannschaft in Titel umwandelte: „Er war der beste Center Deutschlands“, sagt John Ecker, der von 1971 an mit Thimm in Leverkusen spielte.

Dabei hätte nicht viel gefehlt und das große Basketball-Talent hätte seine Begabung an einen anderen Sport verschwendet. Als Junge spielte Thimm Fußball, doch als er aufs Gymnasium kam, traf er auf Rolf Schneider, der nicht nur Sport- und Deutschlehrer am Max-Planck-Gymnasium, sondern auch Präsident des Westdeutschen Basketball-Verbandes (WBV) und Trainer bei Eintracht Dortmund war. Der Pädagoge bewies ein feines Gespür und entfachte in seinem Schüler die Leidenschaft für Basketball. „Als wir 1967 gegen Oldenburg überraschend Deutscher Meister der Schulen geworden sind, wurde ich langsam etwas bekannter“, sagt Thimm.

Es war mehr als das. Er hatte so nachhaltig auf sich aufmerksam gemacht, dass er als erster Spieler in die Junioren-Nationalmannschaft berufen wurde, ohne vorher in der WBV-Auswahl Erfahrungen gesammelt zu haben. Nachdem er 1968 bei der Junioren-EM im spanischen Vigo eine brillante Vorstellung abgeliefert hatte, verglichen ihn manche bereits mit den Prominenten der internationalen Szene. Mit dem Russen Alexander Belov zum Beispiel, der mit der Sowjetunion 1969 und 1971 Europameister wurde, 1974 den WM-Titel feierte und 1972 nicht nur Olympia-Gold holte, sondern im Finale gegen die USA auch die entscheidenden Punkte erzielte.

Schon 1968 hätte Thimm in die USA an ein College gehen können, auch Leverkusen wollte ihn bereits verpflichten. Doch weil der damals 18-Jährige erst einmal sein Abitur machen wollte, blieb er in der westfälischen Heimat und gab sein Bundesliga-Debüt beim SSV Hagen.

Als er 1969 nach Leverkusen wechselte, profitierte er nach wie vor von seinem enormen Sprungvermögen. Die Trainer-Koryphäe Günter Hagedorn ließ seine Spieler in der Kurt-Rieß-Halle an einer Wand hochspringen, an der Höhenmarkierungen angezeichnet waren. Thimm touchierte die Linie mit seinen Fingern bei 3,65 Metern. Doch bei seiner Athletik wollte er es nicht bewenden lassen. „Ich musste mich technisch verbessern", sagt er.

Und der Ehrgeizige lernte schnell. Obwohl „Schiene Thimm", wie der Schlaks genannt wurde, einer der prägenden Individualisten war, blieb er stets ein mannschaftsdienlicher Spieler ohne Allüren. „Man konnte mit ihm immer sehr viel Spaß haben und ein, zwei Bierchen trinken", so Kuprella. „Norbert war auf dem Feld überragend und gab die Richtung mit an, aber wir hatten viele andere starke Persönlichkeiten. Es ging immer sehr kameradschaftlich zu", sagt Ecker.

In den geselligen Stunden gab es auch Diskussionen jenseits des Sports, an denen sich Thimm als politisch Interessierter rege beteiligte. Er vermochte seine Ansichten, die sich am äußeren linken Rand des Spektrums bewegten, durchaus vehement zu vertreten. „Ich gehörte zur 68er-Generation, die gegen die Notstandsgesetze demonstriert hat", erklärt Thimm, der sich inzwischen eher moderat als „linken Sozialdemokraten" bezeichnet. Seine politische Haltung ging sogar so weit, dass er sich einen Lada kaufte, „um die russische Wirtschaft zu unterstützen", wie Kuprella glaubt. Für Thimm hatte die Anschaffung im Rückblick allerdings eher pragmatische Gründe. „Die Karre kostete 1.000 Mark. Das war ein Stahlmonstrum mit dickem Blech, das man noch mit der Kurbel anwerfen musste."

Und aufs Geld musste der Psychologiestudent ja schon ein wenig achten, denn Reichtümer ließen sich in der Bundesliga nicht ansammeln. Erst die Europameisterschaft 1971 in Essen war der Schlüssel zu Thimms lukrativem Engagement. Offiziell wurden damals zwar keine Statistiken geführt, aber dass er zum besten Rebounder des Turniers avancierte, erfuhr der deutsche Center natürlich trotzdem. Die Berufung in die Europa-Auswahl war ein weiterer Bonus für die Vita. Nach dem Turnier gab es mehrere Angebote: von Colleges in den USA, aus Italien, Frankreich und Spanien. Aber der Umworbene fremdelte mit den Reizen der Ferne: „Ich wusste nicht so recht, was ich da sollte."

Das erschloss sich ihm 1972 schon eher, als er sich den Avancen von Real Madrid ergab. Mit 15,9 Punkten im Schnitt als Topscorer der DBB-Auswahl und fünftbester Werfer der Olympischen Spiele wechselte er nach Spanien. Ein Schritt, den John Ecker zunächst nicht nachvollziehen konnte. Ecker hatte mit der Universität von Los Angeles (UCLA) drei Mal die College-Meisterschaft gewonnen und war der Ansicht, ihn über seine Verbindung zu seinem ehemaligen Coach John Wooden oder seinem Ex-Teamkollegen Kareem Abdul-Jabbar bei einer renommierten US-Adresse besser unterbringen zu können. „Ich konnte den Stellenwert und die Bedeutung von Real Madrid nicht so recht einschätzen“, gesteht Ecker. „Aber es war natürlich ein unglaubliches Ansehen, für so einen europäischen Top-Klub spielen zu können."

Thimm war Deutschlands erster Königlicher.

Und genau so wurden die Profis bei Real auch behandelt. „Es war über die Maßen beeindruckend", sagt Thimm. „Die Stadt war klasse, der Klub sehr familiär, die Sprache gefiel mir. Basketball war ein fester Bestandteil der Kultur. Und natürlich war es auch immer schön, wenn ich mir am Ersten des Monats den dicken Umschlag mit dem Gehalt abholen durfte."

In den ersten vier Wochen musste Thimm drei Mal am Tag trainieren, „immer mit voller Intensität, immer unter Strom", wie er betont. Dabei sollte er doch nur im Europapokal zum Einsatz kommen, da in der spanischen Liga keine Ausländer spielen durften, um die Nationalmannschaft zu stärken. „Das Jahr ist mir so prägend in Erinnerung geblieben, als wären es sechs Jahre gewesen", sagt Thimm.

So lange hätte er nach Wunsch des Managements des Traditionsklubs durchaus bleiben können, doch nach nur einer Saison ging es wieder nach Leverkusen, weil Thimm sein Studium zu Ende bringen wollte. Der Rückkehrer war noch immer ein dominanter Center, privat eher introvertiert, aber auf dem Feld ein emotionaler Kämpfer, der um jeden Preis gewinnen wollte. „Man musste ihn ab und zu mal bremsen, damit er dem Schiedsrichter nicht an die Gurgel ging", sagt Kuprella. Sein hoch veranlagtes Spiel hatte Thimm inzwischen mit der nötigen Erfahrung aufgewertet. Es folgten 1976 und 1979 zwei weitere Meisterschaften.

Doch der Körper, der längst viel kräftiger geworden, aber durch zwei Meniskus-Operationen beeinträchtigt war, machte ihm stärker zu schaffen. Schon 1978 begann Thimm halbtags bei Bayer als Diplom-Psychologe zu arbeiten, 1981 beendete er seine Karriere mit einem Abschiedsspiel gegen Real Madrid vor 5.000 Zuschauern in der Wilhelm-Dopatka-Halle. „Vielleicht hat er sogar etwas zu lange gespielt, weil er doch sehr starke körperliche Probleme hatte", sagt Ecker. „Aber ich würde ihn nie dafür kritisieren, weil man eben nur einmal jung ist und diese Zeit genießen kann."

Wer sich die Fotos im Büro anschaut, ahnt, wovon Ecker spricht. Davon, dass der Sport in seinen besten Momenten mehr zu bieten hat als die atemlos ehrgeizige Jagd nach Ergebnissen: Kollegialität, Zusammenhalt und sogar Freundschaft.

Auf dem Mannschaftsfoto von Real Madrid haben seine ehemaligen Teamkollegen eine Widmung hinterlassen: „A nuestro querido Norberto sus companeros del Real Madrid." Auf Deutsch: „Unserem lieben Norbert, seine Kameraden von Real Madrid." Thimm hängt es zurück an seinen Platz und sagt: „Man merkt eben doch, dass das alles Teil meiner Biografie ist. Basketball lässt einen nie richtig los."