„Ich bin stolz auf den Rekord!“ - Mister Bundesliga Mike Jackel im Interview
Mike Jackel führt die ewige Scorerliste der Bundesliga an. 10.783 Punkte legte der 1,99 Meter große Small Forward über 17 Jahre auf.
Mike Jackel führt die ewige Scorerliste der Bundesliga an. 10.783 Punkte legte der 1,99 Meter große Small Forward über 17 Jahre auf. Der Sohn deutscher Kanada-Auswanderer spielte bei Wolfenbüttel, Göttingen, Köln, Charlottenburg, Bamberg und Braunschweig, gewann neben dem EM-Gold von 1993 je vier Mal die Meisterschaft und den Pokal. Mike Jackel ist Mister Bundesliga!
Mike, mit 10.783 Punkten stehst du an erster Stelle der ewigen Scorerliste, Ulms Jarvis Walker folgt auf dem zweiten Platz mit 6.582 Zählern, der erste noch aktive Profi ist Tübingens Oldie Sascha Nadjfeji auf dem 14. Platz mit 5.115 Punkten - wer könnte dich verdrängen?
Mike Jackel: Vorerst niemand. Das hat allerdings nichts mit Überheblichkeit zu tun, vielmehr hängt das mit der Entwicklung des deutschen Basketballs zusammen. Damals gab es viel weniger Wechsel, vor allem ins Ausland, so dass man länger in Deutschland blieb als heute. Mittlerweile wird die Bundesliga wesentlich stärker von Ausländern geprägt, die nicht so lange in der Liga spielen. Daher müsste viel zusammenkommen, damit ein Spieler 15 bis 17 Jahre in der Bundesliga aktiv ist und pro Spiel 17 bis 20 Punkte auflegt.
Bist du froh darüber?
Ich bin stolz auf den Rekord, aber ich hätte nichts dagegen, wenn er gebrochen wird. Das würde bedeuten, dass die Bundesliga von einer Identifikationsfigur geprägt werden würde. Von denen gab es früher mehr. Andererseits ist eine größere Spielerfluktuation eine automatische Folge, wenn sich eine Liga so sehr ins Positive entwickelt. Die Bundesliga hat einen beeindruckenden Boom hinter sich und ist viel professioneller als vor 20, 30 Jahren. Dass es viele Arenen gibt mit mehr als 6.000 Plätzen, die fast immer ausverkauft sind, war damals undenkbar.
Im Kontrast dazu 1982 deine Anfänge in Wolfenbüttel: Du wurdest als kanadischer College-Student für das Pokalfinale gegen das übermächtige Saturn Köln verpflichtet … und wusstest davon nichts?

Damals gab es keine E-Mails und kein Internet, alles lief über Telefon und Post. Ich hatte es so verstanden, dass ich für ein Probetraining und einige Testspiele nach Wolfenbüttel kommen sollte. Ich wusste nicht einmal, was ein Pokal-Wettbewerb ist. Ich kam zwei Tage vor dem Hinspiel an und erfuhr erst Schritt für Schritt, welche Bedeutung das alles hat, wie gut der Gegner ist. Dann haben wir als Underdog das Hinspiel sensationell mit 18 Punkten Vorsprung gewonnen – und hatten am Ende Glück, dass wir das Rückspiel in Köln nur mit 17 Punkten verloren.
Ohne deine 26 Zähler im Rückspiel wäre es nichts geworden mit dem Pokalsieg. Und du warst dadurch begehrt und bist nach Göttingen gewechselt, wo du in drei Jahren zwei Mal Deutscher Meister wurdest. Im Anschluss ging es zu Saturn Köln und es folgten zwei weitere Meistertitel. Welche Station war schöner?
Schwer zu sagen. In Göttingen lernte ich meine Frau Frauke kennen und genoss das Leben in der gemütlichen Studentenstadt. In Köln lief alles professioneller ab und das gesamte Projekt war, wie die Stadt, einfach größer. Und als Tony DiLeo das Traineramt übernahm, wurde es richtig erfolgreich mit fantastischen Europapokalabenden. Leider ging irgendwann das Geld aus.
Nach Charlottenburg und noch mal Köln folgte mit Bamberg von 1990 bis 1997 die längste Station – wie war es dort?
Das war wie zu den Anfangszeiten in Göttingen. Die Stadt, die Stimmung in der Halle, diese Basketball-Verrücktheit – das war genau das Umfeld, in dem ich mich wohlfühle. Und unser Sohn Kevin wuchs dort auf, daher behalte ich Bamberg immer im Herzen.

Europameister, Olympionike, bester Scorer der Bundesliga – und das alles, obwohl bei „seinen Sprungschüssen gerade mal die Bild-Zeitung drunter passt“, wie es in einem damaligen Artikel hieß. Wie lässt sich das Phänomen „Mike Jackel“ erklären?
Dass ich nie der athletischste Spieler war, hat mich nie gestört. Das sagt man heute ja auch über Dirk Nowitzki. (lacht) Im Ernst: Weil ich wusste, dass ich nicht so hoch springen kann, habe ich versucht, alle anderen Facetten zu verbessern: Ich war immer schnell und konnte zum Korb ziehen; dazu habe ich mir am College mit harter Arbeit den fehlenden Wurf erarbeitet, um es zum Profi zu schaffen. Ohne Fleiß wäre ich nie so weit gekommen.
War es ein Vorteil, Linkshänder zu sein, weil es für die Verteidiger ungewohnt war?
Ja, selbst ich als Linkshänder musste umdenken, wenn ich mal einen Linkshänder decken musste – der hat genau die entgegengesetzten Bewegungen bevorzugt, wie die Rechtshänder, die ich in der Regel verteidigte. Oft machte mir mein Verteidiger genau die Seite auf, die ich sowieso lieber mochte. Wenn ein Verteidiger in der schnellen Sportart Basketball erst über so etwas nachdenken muss, wird er oft zu spät dran sein. Beim Tennis ist das auch zu beobachten, wenn der Gegner einem Linkshänder den Ball immer mal wieder unbeabsichtigt auf die starke Vorhand spielt, weil er das von den vielen Rechtshändern als Gegner so gewohnt ist.
Wieso ist der gepflegte Halbdistanzwurf als deine Spezialität ähnlich wie der Skyhook von Kareem Abdul-Jabbar heute fast ausgestorben?
Nach meinen ersten beiden Jahren in der Bundesliga wurde 1984 die Dreierlinie eingeführt – deshalb mussten die Trainer für dieses neue Konzept eine optimale Taktik finden. Als Resultat ist es heute das Ziel, einen einfachen Wurf am Brett zu bekommen … oder eben einen freien Dreier. Distanzwurf oder Zug bis zum Korb – das sind die bevorzugten Optionen für heutige Außenspieler. Da der Halbdistanzwurf heute zudem die schwächsten Wurfquoten vorweist, wird den Spielern abgeraten, sich daran zu versuchen.
Welches Spiel ist dir in besonderer Erinnerung geblieben? Der bis heute gültige Playoff-Rekord von 55 Punkten 1992 im ersten Viertelfinale gegen Hagen?
Das war ein wahnsinniger Abend. Ich war wie in Trance und alles fiel rein. Dennoch sticht ein anderes Spiel heraus: das EM-Viertelfinale 1993 gegen Spanien. Wir lagen die ganze Zeit hinten, ich spielte richtig schwach, traf gar nichts. Aber dann waren nur noch eineinhalb Minuten zu spielen, wir lagen mit fünf Punkten hinten – dann traf ich einen Dreier, ohne den wir uns nicht in die Verlängerung gerettet hätten. Zu Recht sprechen heute alle von den Gamewinnern von Chris Welp gegen Spanien und Russland, aber ich bekomme auch bei meinem Dreier heute noch eine Gänsehaut.
1999 hast du deine Karriere in Braunschweig mit knapp 40 Jahren beendet – aber ab wann hatte der Körper angefangen, Zeichen zu geben, dass es an der Zeit sei, aufzuhören?
Mit Mitte dreißig fühlte ich mich noch gut, weswegen ich weiterspielte. Mit 37 Jahren wollte ich aufhören, aber Braunschweig überzeugte mich, noch zwei Jahre dranzuhängen. Die erste Saison war noch in Ordnung, aber in meiner letzten Saison 1998/99 merkte ich, dass die Karriere zu Ende geht. Es wurde in einer immer professionelleren Sportart immer schwieriger, mit den Zwanzigjährigen mitzuhalten.
Zum Abschluss: Wann hat Mister Bundesliga das letzte Mal auf einen Korb geworfen?
Nach meinem Rücktritt habe ich nicht mehr viel mit dem Basketball gemacht – schließlich war ich 25 Jahre lang als Leistungssportler in dieser Sportart unterwegs. Ich habe noch rund zehn Jahre in einer Basketball-Akademie gecoacht und meinen Sohn beim Basketball während der Highschool begleitet, hatte also immer mal wieder einen Ball in der Hand. Aber wenn es ums Spielen geht, sieht es mau aus – 2010 hatte ich ein Legendenspiel in Bamberg, und das letzte Mal, dass ich einen Ball in der Hand hatte, war 2013 in München beim Treffen der Europameister anlässlich des 20-jährigen Jubiläums.