Der Iceman: Wie Wendell Alexis Berlin in sechs Jahren zu sechs Meisterschaften verhalf
Wendell Alexis war um die Jahrtausendwende der größte Star der Bundesliga. Der Power Forward kam als Mittdreißiger nach Berlin und führte die Albatrosse in sechs Jahren zu sechs Meisterschaften.
Wendell Alexis war um die Jahrtausendwende der größte Star der Bundesliga. Der Power Forward kam als Mittdreißiger nach Berlin und führte die Albatrosse in sechs Jahren zu sechs Meisterschaften.
Der Berliner Profi Alex Renfroe wunderte sich, als er im November 2014 während des Spiels gegen Bayern von einem Unbekannten angesprochen wurde. Der Zuschauer war im vierten Viertel von seinem Platz in einer der vorderen Reihen aufgestanden, zur Auswechselbank gegangen und hatte dem Aufbauspieler von ALBA BERLIN ein paar Worte ins Ohr geflüstert. „Er hat mir gesagt, dass ich weiter aggressiv und selbstbewusst spielen soll“, erinnert sich Renfroe, „ich war total überrascht.“ Erst nach dem Spiel erfuhr er, wer ihm da gut zugeredet hatte: Wendell Alexis, einer der besten Spieler in der Geschichte der Bundesliga. Vielleicht sogar der beste.

Es gab in 50 Jahren einige überragende Basketballer in der Bundesliga: Dirk Nowitzki, der nach einer halben Saison in die NBA weiterzog und sich dort zu einem der weltbesten Basketballer entwickelte. Mike Jackel, der mit 10.789 Bundesliga-Punkten eine unerreichbar wirkende Bestmarke setzte. Keith Gray, der 1989 mit 65 Punkten in einem Spiel ebenfalls einen Rekord aufstellte. Alexis aber gelang es, eine ganze Ära zu prägen: sechs Spielzeiten, sechs Meistertitel. Und das alles als Mittdreißiger. „Du bist im reifen Alter von 32 Jahren zu uns gekommen und hast dich sofort bewährt“, schwärmte ALBA-Manager Marco Baldi 2012, als die Berliner Alexis’ Trikot mit der Nummer 12 unter die Hallendecke hängten, um es nie mehr zu vergeben. Alexis steht für die bisher erfolgreichste Zeit der Berliner. Er ist mit 5.922 Punkten in 341 Spielen (17,37 Punkte im Schnitt) erfolgreichster Werfer in der Geschichte der Albatrosse. John Best, einer seiner Gegenspieler, nannte ihn einmal „Deutschlands Michael Jordan“.
Doch das war noch nicht abzusehen, als der schlaksige Power Forward im Sommer 1996 in Berlin eintraf. „Nach einem 14-stündigen Flug“, erinnert sich Alexis, „ich wollte sofort schlafen, doch Coach Svetislav Pesic sagte: ‚Nein, Wendell, trainiere.‘“ Das Training zahlte sich mit sechs Meisterschaften und drei Pokalsiegen mehr als aus. Sein bestes Jahr hatte der Mann aus Brooklyn 1998, als er mit ALBA auch das Viertelfinale der Europaliga erreichte und mit der US-Nationalmannschaft bei der WM Bronze holte.
Dabei war seine Treue zu Berlin nie geplant, es ergab sich so. Bei ALBA erinnern sie sich an ein jährlich wiederkehrendes Ritual: Nach der Saison zog die Familie Alexis mit den drei Kindern aus ihrer Berliner Wohnung aus und kehrte in die USA zurück. Dann handelte der Club mit seinem Star einen neuen Einjahresvertrag aus – und zur neuen Saison zogen alle wieder in dieselbe Wohnung ein.
Auch aufgrund seines fortgeschrittenen Basketballalters dominierte Alexis die Spiele nicht mit Athletik, sondern mit Erfahrung, Effektivität und Cleverness. „Du wolltest dich immer verbessern, gabst den jungen Spielern Orientierung und großen Halt, ohne viel zu reden“, lobte Marco Baldi. Alexis’ Coolness ist legendär: Im dritten Finale 2001 gegen Bonn zog er sich nach einem Steal noch schnell die verrutschte Hose über seinen dünnen Beinen hoch – und versenkte dann den spielentscheidenden Dreier.
Auch beim legendären Sieg 1996 über Olympiakos Piräus traf Alexis den Dreier zum Sieg. Diese Coolness auf dem Spielfeld brachte ihm in Deutschland den Spitznamen Iceman ein, was ihm aber gar nicht so sehr gefiel, weil es in den USA mit dem NBA-Spieler George Gervin bereits einen Iceman gab. Besser fand er, wie ihn einst die Fans von Reggio Calabria aufgrund seiner stolzen, aristokratischen Körperhaltung genannt hatten: Schwarzer Schwan.
Doch sein Stolz wurde in Deutschland auch erschüttert. Zunächst, als ALBA 2002 den Vertrag mit dem damals 38-Jährigen nicht mehr verlängern wollte. „Ich dachte, ich würde meine Karriere in Berlin beenden“, sagte er später. Dann, als der Mitteldeutsche BC in der Saison 2003/2004 Insolvenz anmelden musste. „No pay, no play“, sagte er und verließ das Team noch vor den letzten Saisonspielen. Mit diesem Negativerlebnis beendete er auch seine Karriere.
„Inzwischen sind die Wunden geheilt“, sagte Alexis, als er 2012 nach Berlin zurückkam, „im Rückblick bewerte ich viele Dinge anders.“ Mittlerweile arbeitet er in der Öffentlichkeitsarbeit eines medizinischen Zentrums, nebenbei coacht er Basketballteams. Und wenn er in Berlin ist, gibt er Spielern mitunter auch ein paar Tipps – selbst wenn diese Deutschlands Michael Jordan gar nicht mehr kennen.