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Das letzte Spiel des Rekordmeisters: Wie die Bayer Giants Leverkusen nach 40 BBL-Jahren und 24 Titeln abtraten

Am 24. Mai 2008 verlieren die Bayer Giants das fünfte Viertelfinale gegen Frankfurt. Damit endet nach 40 Jahren die Zeit des Rekordmeisters Leverkusen in der Bundesliga.

2008

Am 24. Mai 2008 verlieren die Bayer Giants das fünfte Viertelfinale gegen Frankfurt. Damit endet nach 40 Jahren die Zeit des Rekordmeisters Leverkusen in der Bundesliga. Der Blick zurück auf einen traurigen Tag.

Die Hoffnung stirbt zuletzt! Ein ausgelutschter Spruch, aber an diesem Samstag im Mai 2008 passt er. In der Wilhelm-Dopatka-Halle zittern die Leverkusener Fans um ihren Club. Der Bayer-Konzern hatte im Mai 2007 angekündigt, nach der Saison 2007/08 auszusteigen, ein neuer Hauptsponsor war nicht gefunden und deshalb überlegt worden, die Bundesligalizenz nach der Saison nach Düsseldorf abzugeben. Aber noch ist da Hoffnung auf den Gesichtern. Jetzt erst mal das fünfte Viertelfinale gegen Frankfurt gewinnen! Dann vielleicht eine Überraschung im Halbfinale? Genau! Und vielleicht begeistert ein beherzter Auftritt im Finale ja doch noch einen großen Geldgeber, ist ja live im Fernsehen, wer weiß? Vielleicht doch weiter Bundesligaspiele in der Dopatka-Halle. Vielleicht, vielleicht …

Im Kopf regiert der Konjunktiv, auf dem Parkett Pascal Roller: Es steht 58:57 für Leverkusen, als Frankfurts Nationalspieler nach vorne dribbelt. Es bleibt Zeit für ein, zwei Angriffe. Die Partie ist so eng wie die Serie generell; die vergangenen beiden Krimis gingen mit drei an Leverkusen und zwei an Frankfurt. Roller überquert die Mittellinie, Verteidiger Matthias Goddek nimmt ihn auf, es kommt zum Kontakt, ein Pfiff ertönt. Entsetzen auf der Bank der Giants, Entsetzen bei ihren Fans. Roller geht an die Linie und netzt zwei Mal ein zur 59:58-Führung der Gäste. 6,9 Sekunden bleiben den Giants, um doch ins Halbfinale zu kommen, um doch weiterzuleben. Die Fans in den gelben Motto-Shirts brüllen, als Routinier Tyron McCoy zum Drive ansetzt. Der Leverkusener Flügelspieler tankt sich durch zum Korb, schluckt den Kontakt und legt den Ball über die Arme von Frankfurts Blockmonster Ken Johnson hinweg hoch ans Brett. Ein Zeitlupenmoment … aber der Ball geht vorbei und die Sirene ertönt.

"Das war die Saison, das waren 40 Jahre Basketball-Bundesliga in Leverkusen. Der Vorhang fällt."

- Otto Reintjes

Aus Explosion wird Implosion. Sofort ist die Halle still. Nur die Frankfurter Fans unter den 3.142 Zuschauern jubeln, aber das interessiert keinen. Die Leverkusener Spieler stehen erstarrt auf dem Spielfeld. Gordon Geib, Beckham Wyrick wissen nicht wohin, versuchen McCoy zu trösten. Goddek, von kleinauf im Bayer-Trikot, zieht sich zurück, setzt sich auf den Rand eines Spielerstuhls. „Das war´s jetzt mit der Bundesliga“, so seine Gedanken damals. Währenddessen brechen bei den Fans die Dämme: Beschwerden bei den Refs, Gebrüll, Tränen – dann Stille.

Es wird klar: Die Geschichte des deutschen Rekordmeisters in der Bundesliga ist zu Ende geschrieben. Manager Otto Reintjes, der seit der Bekanntgabe des Bayer-Ausstiegs versucht hatte, die Lücke von rund 1,5 Millionen Euro zu schließen, erfolglos mehr als 300 Unternehmen angeschrieben hatte, weiß auch nicht, wohin mit sich. Er starrt ins Leere, tröstet seine Ehefrau, nimmt irgendwann das Mikro. „Das war die Saison, das waren 40 Jahre Basketball Bundesliga in Leverkusen“, sagt er. „Der Vorhang fällt.“ Die Stimme zittert, die Ränge weinen.

14 Deutsche Meisterschaften, mehr als jeder andere Club, und zehn Pokalsiege, auch mehr als jeder andere, sind Geschichte. Der Bundesligist, der so lange den Vorreiter und Taktgeber der Liga gegeben hat, ist nicht mehr. Die Profi-Abteilung eines Vereins, der Basketball-Legenden wie Reintjes, Norbert Thimm, Detlef Schrempf, Gunther Behnke und Dirk Bauerman hervorgebracht hat, der Basketball-Rekordmeister hört auf zu existieren, weil der Hauptsponsor abseits des Fußballs Spitzensport generell nicht mehr unterstützt. Ein unerhörter Vorgang in der deutschen Sportlandschaft, für den THW Kiel, den VfB Friedrichshafen oder Bayern München undenkbar.

Otto Reintjes, rechts

Der damalige Kapitän Gordon Geib hat das Spiel sieben Jahre später noch genau im Gedächtnis, „ich könnte die letzte Aktion der Partie sogar im Detail nachspielen“, sagt er, „aber was nach der Schlusssirene war, weiß ich nicht mehr. Wir waren so fokussiert auf das Weiterkommen, dass ich anschließend keinen Gedanken mehr fassen konnte.“ Headcoach Achim Kuczmann blieb und bleibt, damals wie jetzt, gewohnt nüchtern: „Für mich ging es erst mal nur um das verpasste Halbfinale. Das Ende Leverkusens in der Bundesliga war nach dem Spiel für mich kein Thema. Wir wussten ja, dass es hier vorbei ist.“

Während die Bundesliga-Lizenz nach Düsseldorf wandert, fangen die Bayer Giants in der Saison 2008/09 in der Regionalliga neu an. Und steigen wieder auf. Erst in die ProB, dann in die ProA. Einige Protagonisten vom Mai 2008 sind immer noch dabei: Kuczmann ist wieder Headcoach, Goddek hat gerade erst die Karriere beendet, Richard „Richy“ Seifert ist immer noch Hallensprecher und Dieter „Happes“ Happ immer noch der Pysiotherapeut des Teams. Wie in den alten Zeiten. Zum ersten Spiel der Saison 2015/16 gegen die RheinStars Köln strömen 2.000 Zuschauer in die Halle. Ein bisschen wie in alten Zeiten. Und ein bisschen keimt an solchen Tagen auch die Hoffnung, dass sie vielleicht noch mal zurückkehren, die guten Zeiten in der Bundesliga.